Dreitägiger Workshop im Rahmen des Erasmus+ Projekts „Akzeptanz für kulturelle Vielfalt“
Hintergrund
Die Fluchtbewegungen der Gegenwart wecken in den europäischen Gesellschaften kollektive Erinnerungen. Gewalttaten in den Weltkriegen, totalitäre Regime und ideologisierte Konflikte führten dazu, dass es im 20. Jahrhundert in Europa Millionen Flüchtlinge und Vertriebene gab. Die Arbeit an einem europäischen Gedächtnis, das die Erinnerung an Flucht und Vertreibung als Auftrag wahrnimmt, in der Gegenwart Verantwortung zu übernehmen, ist ein vielversprechender Ansatz.
Vom 6.-8. Juni 2018 veranstaltete die Evangelische Akademie Wien im Rahmen des europäischen Projekts „Akzeptanz für kulturelle Vielfalt“ einen dreitägigen Workshop, der sich der Frage widmete, inwiefern die Erfahrungen von Flucht und Vertreibung als Bezugspunkt einer europäischen Erinnerungskultur dazu beitragen können, die Solidarität auf einer internationalen Ebene und mit flüchtenden Menschen zu fördern.
Wir gingen der Frage nach, wie Erwachsenenbildung dazu beitragen kann, die Akzeptanz von Vielfalt in unseren Gesellschaften zu befördern. Die Entstehung einer inklusiven Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit und ethnisch-kultureller Herkunft anerkannt sind, erfordert Einstellungsveränderungen in der Aufnahmebevölkerung, die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und die Sensibilisierung für diskriminierende Praktiken.
Teilnehmende
Insgesamt 29 Teilnehmende aus vier europäischen Ländern (Deutschland: 6, Österreich: 6, Polen: 11, Rumänien: 6) von den folgenden fünf Partnerorganisationen nahmen teil:
Deutschland
Christliche Initiative Internationales Lernen e.V. (CIL), Frankfurt am Main, http://cil-frankfurt.de/
in Kooperation mit dem Diakonischen Werk Offenbach - Dreieich – Rodgau,Bereich Flüchtlingsarbeit, http://diakonie-of.de/
Österreich
Evangelische Akademie Wien, http://evang-akademie.at/
Polen
- Verein für Kultur und Dialog 9/12, Białystok, http://9dwunastych.org/
- MSCDN Warschau – Zentrum für Lehrerfortbildung in der Region Mazowien/Warschau,
http://warszawa.mscdn.pl/
Rumänien
Generaldirektion Soziales und Kinderschutz im Landkreis, Bihor, Oradea, http://www.dgaspcbihor.ro/
Verlauf
Nach einer Einführung durch die OrganisatorInnen, präsentierten die Ländergruppen am ersten Tag zunächst kulturelle Praktiken und Gegenstände aus ihren Ländern, die Teilnehmenden tauschten sich aus über ihre Entstehungsgeschichte und wandelnde Bedeutung. Es folgte eine Präsentation des Salzburger Projekts „Das war unsere Zeit – Eine Generation erinnert sich! Lebensgeschichtliche Gespräche in Salzburger Gemeinden“ und eine Stadtführung mit anschließendem Abendgespräch zur Reflexion über das öffentliche Gedenken an die Shoah in Wien.
Am zweiten Tag konzentrierte sich die Workshop-Arbeit nach theoretischen Inputs zum Thema dann auf praxisorientierte Abschnitte zur Erinnerungs- und Biografiearbeit. Es gab zwei international gemischte Fish-Bowl-Gruppen, in der sich die Personen im inneren Kreis (also in der Bowl) unter Moderation einer „Biographiearbeiterin“ vor dem Hintergrund der jeweiligen historisch-politischen Ereignisse jener Zeit(en) über Erinnerungen aus Ihrer Kindheit austauschten. Dieses unorthodoxe Format in Kombination mit der internationalen und generationalen Mischung der Teilnehmenden führte zu besonders lebendigen, teilweise spontanen und auch emotionalen Gesprächen. Die Erfahrungen der beiden Gruppen wurden später im Plenum reflektiert und die Methode im Hinblick auf ihre praktische Anwendbarkeit hin diskutiert. Dabei wurden auch ethische Fragen besprochen.
Abschließend wurde in Gruppen und im Plenum die leitende These, dass Erinnerungsarbeit in der Erwachsenenbildung die Akzeptanz kultureller Vielfalt fördert vor dem Hintergrund der erprobten Zugänge und Methoden diskutiert und bewertet.
Ergebnisse
Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, die eigenen Praxiserfahrungen auszutauschen und andere didaktische Konzepte und Methoden kennenzulernen und sie für die je eigene Arbeit zu prüfen, um sie dann künftig gegebenenfalls zu adaptieren.
Der Workshop hat gezeigt, dass man sich dem Thema der Erinnerung auf unterschiedliche Art und Weise annähern kann. Grundsätzlich ist es unserer Ansicht nach möglich, durch Erinnerungsarbeit die Akzeptanz für kulturelle Vielfalt zu fördern. Gleichzeitig jedoch ist es notwendig, diesen formulierten Anspruch differenziert zu bewerten. Teilnehmende der polnischen Lerngruppe haben im Abschlussgespräch betont, dass es keinen Automatismus zur gegenseitigen Empathie von Menschen mit ähnlichen Erfahrungen gäbe, sondern dass auch die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Empathie vorhanden sein oder geschaffen werden müssen. Erinnerungsarbeit kann hier einen Beitrag leisten.
Der Austausch sowohl in den Kleingruppenarbeiten als auch im Plenum haben gezeigt, dass es Bevölkerungsgruppen gibt, die von einem kollektiven Erinnerungsdiskurs ausgeschlossen werden, was sich auch in gegenwärtigen politischen Diskussionen und gesellschaftlichen Praktiken widerspiegelt. Kollektive Erinnerungen können also gegenüber Bevölkerungsgruppen diskriminierend wirken. Identifizierte Gemeinsamkeiten in kollektiven und individuellen Erinnerungen führen zu Abgrenzung und Ausschluss, sowohl im positiven wie auch im negativen Sinn.
Anknüpfungspunkte für eine gemeinsame Erinnerung können also grundsätzlich zwar dazu beitragen, dass kulturelle Differenzen akzeptiert werden, sie können aber auch Tendenzen der Abgrenzung verstärken, besonders wenn traumatische Erinnerungen aktiviert werden. Es ist wichtig, die Suche nach unbedingten Gemeinsamkeiten zugunsten eines offeneren Austausches gegenseitiger Erinnerungen zu erweitern, der unterschiedliche Erfahrungen nicht in einer „großen Erzählung“ nivelliert. Eine Methode dazu kann biografisches Erzählen sein. Bei dieser Arbeit wird Gehörtes nicht bewertet.
Die an diese Überlegungen anschließende Frage ist, wie diese Vielfalt an Erinnerungsstimmen sichtbar gemacht werden kann. Es müssen Orte der Begegnung geschaffen werden, für deren Entstehen auch die Erwachsenenbildung einen wichtigen Beitrag leisten kann. Teilnehmende des Workshops haben auch die Bildungsverantwortung im Zusammenhang mit Erinnerungsarbeit und biografischem Erzählen in Kindergärten und Schulen hervorgehoben.
Wichtig ist es (geschützte) Räume zur Verfügung zu stellen, in denen Menschen sich über gemeinsame und unterschiedliche Erfahrungen austauschen können. So kann ein Verständnis dafür gefördert werden, dass Erinnerungen plural und nicht konfliktfrei sind. Ein Ziel des Workshops in Wien war es, einen solchen Austausch über nationale Grenzen hinweg zu ermöglichen und wir finden, dass uns dies sehr gut gelungen ist.
Sowohl im Zuge der Vorbereitung des Workshops als auch beim Workshop selbst ist für uns aber auch deutlich geworden, dass es in Österreich eine Vielzahl an zivilgesellschaftlichen Initiativen gibt, die sich dem Thema der Erinnerungskultur annehmen. Diese Eigeninitiativen empfinden wir als sehr wichtig. Der Workshop hat gezeigt, dass die Arbeit mit Erinnerungen ein wichtiges Themenfeld in der österreichischen Erwachsenenbildungslandschaft darstellt, etwa im Hinblick auf lebensgeschichtliche Dokumentation.
Wir danken unseren Fördergebern.